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Geld gegen Sonne: Wie Investitionen in Schwellenländern die EU-Klimabilanz aufbessern können

Um ihre Klimaziele zu erreichen, braucht die EU die ressourcenreichen Schwellen- und Entwicklungsländer. Der Erfolg der Investitionen hängt allerdings von den Regierungen vor Ort ab.

Trotz der Coronakrise will Brüssel am Green Deal und dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 festhalten. Das erfordert einen kompletten Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, der Billionen von Euro kosten wird.

Investitionen in grüne Technologien könnten der europäischen Wirtschaft nach der Viruspandemie wieder zum Wachstum verhelfen. Doch auch wenn die EU-Staaten und die Europäische Investitionsbank (EIB) viel Geld in die Hand nehmen, ist klar: Der Großteil der erforderlichen Finanzmittel wird aus der Privatwirtschaft kommen müssen.
Doch die muss erst mal geeignete Investitionsprojekte finden. Und hier lohnt der Blick in die Entwicklungs- und Schwellenländer des Südens – aus zwei Gründen: Zum einen lässt sich Kohlendioxid dort günstiger einsparen als in Industriestaaten. Zum anderen könnten die südlichen Länder mit vielen Sonnenstunden den Europäern helfen, ihren Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen zu decken.

Umgekehrt können grüne Energieprojekte für die besonders unter dem globalen Shutdown leidenden Schwellenländer einen Weg aus der Coronakrise bedeuten. „Diese Länder brauchen jetzt internationale Investoren zum Aufbau einer langfristig nachhaltigen Infrastruktur“, sagt Ulf Moslener, Professor für Umweltökonomie an der Frankfurt School of Finance.

Dass Entwicklungs- und Schwellenländer bei erneuerbaren Energien das größte Potenzial haben, lässt sich nicht nur mit der geografischen Lage erklären. In großen Teilen Afrikas beispielsweise gibt es bisher überhaupt keine oder nur eine mangelhafte Energieinfrastruktur. Grüne Technologien können helfen, die Lücken zu schließen.
So wird seit 2014 in den Entwicklungs- und Schwellenländern erheblich mehr Kapital in erneuerbare Energien investiert als in den Industrienationen. Dabei wird deutlich: Der wichtigste Erfolgsfaktor ist die Regierungsführung vor Ort. Viele Länder bieten bereits Einspeisevergütungen und Steuererleichterungen für Investoren im erneuerbaren Energiesektor.

Vietnam will einen Erneuerbaren-Anteil am Energiemix ausbauen

Ein Beispiel hierfür ist Vietnam: In dem Land bekommen Energieversorger pro Kilowattstunde aus Solar- oder Windkraft umgerechnet 8,4 beziehungsweise 7,7 Eurocent zugesichert. Geldgebern wird so eine langfristige Rendite garantiert, Investitionen bleiben attraktiv - egal, wie sich die Marktpreise für Strom entwickeln.
Ein Problem gibt es allerdings: Electricity Vietnam ist als staatlicher Energieversorger der einzige Abnehmer. Bei den auf eine lange Laufzeit angelegten Energieprojekten machen sich Investoren also langfristig von den politischen Entwicklungen in dem südostasiatischen Land abhängig.
Vietnam gilt zwar als stabil, befindet sich derzeit aber in einer gesellschaftlichen Umbruchphase und ist außenpolitisch stark an Russland orientiert. Das Riesenreich gehört mit seinen Öl- und Gasvorräten zu jenen Ländern, die mit der Energiegewinnung aus fossilen Quellen viel Geld verdienen. Eine dekarbonisierte Welt würde Russland die Grundlage seiner Staatsfinanzen entziehen.

Noch aber scheint Hanoi trotz der politischen Nähe nicht stark von den russischen Energieinteressen beeinflusst zu sein. So hat sich die vietnamesische Regierung das Ziel gesetzt, einen Anteil von 30 Prozent erneuerbarer Energien am Gesamtmix zu erreichen.

Ende Februar stellte sie in Kooperation mit lokalen Wirtschaftsvertretern einen ehrgeizigen Plan vor, wie sie den wachsenden Energiebedarf von jährlich etwa zehn Prozent aus erneuerbaren Quellen und mit ausländischen Direktinvestitionen decken will. Dafür sollen beispielsweise Lizenzerfordernisse und bürokratische Hürden für grüne Investitionen gelockert werden.

Momentan sind die staatlichen Regelungen allerdings noch so komplex, dass es für ausländische Investoren ratsam ist, sich mit lokalen Betreibern zusammenzutun. „Die Projekte werden lokal mitentwickelt und dann an einen internationalen Investor übertragen“, sagt Stefan Ewers, Büroleiter der deutschen Beratungsfirma Rödl und Partner Vietnam.
Dies erinnert an Chinas Weg vom Entwicklungsland zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt: Ausländische Investoren waren und sind nach wie vor gezwungen, sich einen heimischen Partner zu suchen. Für die Europäer ist das mittlerweile zu einem Problem geworden, weil so dem Reich der Mitte sein heutiger Vorsprung in zahlreichen Technologien gelungen ist.

Bundesregierung bietet Investitionsgarantien

Trotz der Risiken wollen die EU und auch Deutschland, dass europäische Gelder in die vietnamesische Energieinfrastruktur fließen. Neben klimapolitischen hat das auch geopolitische Gründe, um zum Beispiel Russlands Einfluss in dem Land zu begrenzen.
Die deutsche Bundesregierung bietet in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung PwC Garantien für die meisten Länder an, damit sich deutsche Investoren gegen Vertragsverletzungen, Enteignungen oder bewaffnete Konflikte im Ausland absichern können.

Sollte es Probleme geben, unterstützt der Bund Investoren diplomatisch oder juristisch und bietet ihnen zur Not auch finanzielle Entschädigungen an. Im Jahr 2019 übernahm Deutschland Investitionsgarantien in Höhe von 3,3 Milliarden Euro für Projekte in 16 Ländern weltweit, vor allem in China, Argentinien, Mexiko, Kuwait und Indien.
Auch Äthiopien hat das große Interesse ausländischer Investoren an erneuerbaren Energieprojekten erkannt. Bislang waren diese in dem Land lediglich eine Ausnahme. Doch nun versucht die Regierung unter Präsident Abiy Ahmed, mithilfe des massiven Ausbaus grüner Projekte die 105 Millionen Einwohner mit Strom zu versorgen.
Dabei könnte die niedrige Elektrifizierungsrate von 45 Prozent sogar ein Vorteil sein. „Entwicklungsländer können schon in der ersten Runde auf erneuerbare Energien setzen“, sagt Umweltökonom Moslener von der Frankfurt School of Finance. „Für Industriestaaten ist es schwieriger, den Infrastrukturweg wieder zurückzugehen.“
Bis 2030 will Äthiopien alle seine Bürger mit Strom versorgen. Ohne ausländisches Kapital ist das nicht machbar. Deswegen hat die Regierung begonnen, den Strommarkt schrittweise zu liberalisieren. Bisher sind deutsche Investoren im Technologiebereich dort allerdings kaum vertreten.

Für europäische Unternehmen könnte dieser Markt nach der Coronakrise aber interessant sein. Vor allem weil die EU im Rahmen ihrer neuen Afrikastrategie – die auch Teil des Green Deals ist – ohnehin Klimaschutzinvestitionen in Afrika kräftig ankurbeln will und dementsprechende Anschubfinanzierungen und Ausfallgarantien gibt.
Afrika soll zu einem wirtschaftlichen und politischen Partner auf Augenhöhe werden. Auch Deutschland hat Energiepartnerschaften mit afrikanischen Ländern zu einem der Schwerpunkte seiner im Juli beginnenden EU-Ratspräsidentschaft erklärt.

Aus Brasilien zogen sich die Investoren wieder zurück

Doch es gibt auch Länder, die eher auf kurzfristigen, maximalen wirtschaftlichen Profit setzen, statt ihr ökologisches Potenzial auszuschöpfen. Das Paradebeispiel ist Brasilien.
„Brasilien war lange Vorreiter in der Bioenergie, und auch die Abholzung des Amazonas wurde über Jahre zurückgefahren“, sagte die brasilianische Nachhaltigkeitsexpertin Natalie Unterstell, die ihr Land bei internationalen Klimaverhandlungen vertrat und die Klimaabteilung des Umweltministeriums leitete. „Aber Jair Bolsonaro hat die Wirtschaftssignale zurückgedreht und viele Pläne zum Ausbau erneuerbarer Energien verschwinden lassen.“

Tatsächlich hatte es Brasilien geschafft, zwischen 2004 und 2014 die Fläche des Regenwaldes, die pro Jahr abgeholzt wird, von 27.000 auf 5000 Quadratkilometer zu verkleinern. Die brasilianische Zentralbank verabschiedete 2014 eine Resolution zur Berücksichtigung von Umweltstandards bei Investitionen – ein Beispiel dafür, dass Brasilien lange sogar Vorreiter bei grünen Investitionen war.

Laut der Weltbank war das Land auf einem guten Weg, nachhaltige Standards zu etablieren. Doch dann kam Präsident Jair Bolsonaro an die Macht. Das habe massiven Einfluss auf das Investitionsklima gehabt, so Unterstell.

Im vergangenen Herbst zogen sich 230 internationale Investoren mit einem Kapitalwert von insgesamt 14,7 Billionen Euro aus dem südamerikanischen Land zurück. Sie begründeten ihren Schritt öffentlich mit der Abholzung des Regenwalds und der destruktiven Umweltpolitik. Der Amazonas-Regenwald ist der größte Kohlendioxidspeicher der Welt. Eine Abholzung trägt dementsprechend stark zum Klimawandel bei.

Ob Bolsonaro mit seiner Antiklimapolitik aber so weitermachen kann, ist fraglich. So droht die EU damit, den Freihandelsvertrag Mercosur mit sechs südamerikanischen Staaten platzen zu lassen, sollte der brasilianische Präsident sich nicht an die darin vereinbarten Umweltstandards halten.
„Internationaler Druck könnte ein Wendepunkt sein“, hofft Natalie Unterstell, damit auch Brasilien zukünftig von grünen Investitionen profitieren kann. Auch das ist ein erklärtes Ziel des europäischen Green Deals: international Druck auszuüben. Denn allein kann Europa das Klima nicht retten. Das ist eine globale Aufgabe.

Quelle: Handelsblatt